Staubfarben der Vergänglichkeit
Ein Wiedersehen nach 25 Jahren! Das bedeutet Rückbesinnung für die Weggefährten, Neugier eines jungen Publikums auf ein Werk der Nachkriegszeit und auf seine heutige Gültigkeit. Zum 90. Geburtstag und 25-jährigen Todestag des Malers und Hochschullehrers Peter Voigt hat das Städtische Museum, kuratiert von Andreas Büttner, eine intime Ausstellung aus eigenen Beständen ausgerichtet, aktuell ergänzt durch eine Schenkung von drei Bildern aus Familienbesitz. Malerei, Zeichnung und Druckgrafik waren Voigts Techniken, die er zu realitätsbezogenen Inhalten nutzte. Alle Möglichkeiten sind hier exemplarisch zu erleben. Amüsiert blickt er uns aus der Schauvitrine entgegen, mit „doofem Hütchen" auf dem Kopf. Die unkomplizierte Bleistiftzeichnung samt Titel allein verlockt zu mehr.
Was sofort ins Auge fällt, ist die Vielseitigkeit des Malers, die vom Porträt über Stadtveduten und Landschaftsmotive bis zu nachdenklichen Themen persönlicher Inhalte reicht. Peter Voigt, der nach Krieg und Gefangenschaft in Hamburg und Berlin studierte, als Infomel und Abstraktion die Szene prägten, gehört zu den konservativen Modernen, die meisterhaft ihr Handwerk beherrschen, um Inhalte zu vermitteln. Anklänge an Beckmann und Kokoschka, der freie Umgang mit gegenständlicher Assoziation entsprechen dem Ausdruck des Jahrhunderts und sind doch individuell geprägt. Die nachvollziehbare Gestaltung einer Bildidee aus der Wahrnehmung durch Form, Farbe und Abstraktion, der lebendige Duktus jeder Darstellung, der sichere schwingende Umgang mit der Linie, das sensible Kolorit, das in Lebensfreude aufblühen kann sind bleibende Qualitätsmerkmale seiner Kunst. Hinzu kommt, dass der gebürtige Braunschweiger seiner Stadt mit historischen Dokumentationen gedient hat. Er malte eine Galerie Braunschweiger Persönlichkeiten einschließlich der Ratsherren, er malte vor Ort Stadtansichten, Straßen und Plätze, zerstört und im Wiederaufbau, die nichts an Frische verloren haben, er schuf Wandbilder – Kunst am Bau –, heute noch aktuell im Heidbergbad. Radierplatten und ein Lithostein einschließlich dazugehöriger Probeabzüge geben Zeugnis von seiner grafischen Perfektion. Als sehr verinnerlichte Malerei sind die Motive persönlicher Lebensprägung zu deuten.
Krieg, Gefangenschaft, Tod des Zwillingsbruders, Sprachlosigkeit und Kommunikationsblockaden finden sich wieder in gesichtslosen Schattengestalten, vergittert, zusammengedrängt in Kisten, im Narrenschiff metaphorisch versammelt. Trocken aufgetragene Erdtöne, Farben im Staub der Vergänglichkeit, Menschenwesen ohne Miteinander, dem Schicksal ausgeliefert. Berührend ist in jedem Werk die Kraft und Unmittelbarkeit der Gestaltung, die Anteilnahme am Leben, sei es in Form der Erinnerung einer Persönlichkeit, sei es im Erlebnis einer Stadt oder einer neu entdeckten Landschaft. Voigts Bildwerke pulsieren, als seien sie eben von der Staffelei gekommen.
Marianne Winter
Braunschweiger Zeitung, 18. Juli 2015, Abdruck in: Peter Voigt, Malerei und Graphik. Städtisches Museum Braunschweig (Hg.), Braunschweig 2015, S. 29.