PETER VOIGT

Peter Voigt – Ein Braunschweiger Maler

Peter Voigt – Ein Braunschweiger Maler

Diese Ausstellung ist einem Braunschweiger Künstler und seinem Werk gewidmet, der 1990, vor dreißig Jahren, im Alter von 65 Jahren überraschend gestorben ist.
Als emeritierter Hochschullehrer frei malen zu können, ohne die vielen Verpflichtungen wie zuvor in den langen Jahren als Professor für Malerei an der HBK Braunschweig – das war ihm nicht mehr vergönnt. Etliche Jahre war er zusätzlich als Rektor dieser 1963 neu gebildeten Hochschule tätig, er hat sie mit aufgebaut, auch zu Lasten seines eigenen künstlerischen Schaffens. Als Maler eher zurück gezogen hatte er nie den Drang, sich selber als Künstlerpersönlichkeit besonders zu inszenieren.

Die Ausstellung zeigt einen Ausschnitt aus seinem Werk.

Unvollendet – ein Bild aus dem Jahr 1990. Dieses Bild stand nach seinem Tod auf der Staffelei, an ihm hat er zuletzt gearbeitet. Wie hätte er das Bild zu Ende gemalt? In welche Richtung wäre seine künstlerische Entwicklung weitergegangen?
Die dort angedeuteten Kopffiguren und die Gesichter im Fragment verweisen darauf, was diesen Maler immer wieder beschäftigt hat.

Peter Voigt war ein figurativer, gegenstandsbezogener Maler.
„Was mich immer interessiert, ist der Mensch…“, so sagt er es schon 1956 in einem Artikel der damaligen Braunschweiger Presse. Andreas Büttner schrieb 2015 anlässlich der Ausstellung von Peter Voigts Arbeiten im Städtischen Museum Braunschweig: „Aber es ist gerade nicht in erster Linie das klar erkennbare Individuum gemeint, sondern der Mensch an sich, das Individuum in seinem Verhältnis zum Anderen, in seinem Verhältnis zur Masse, zum übergeordneten Gemeinwesen, aber auch die Negierung des Individuums, seine Einsamkeit in der Masse, der Wunsch nach Kommunikation mit dem und Kontakt zum Nächsten sowie deren Unmöglichkeit, die Maskierung als Mittel der Selbstschutzes“. (Ausstellungskatalog Peter Voigt, Malerei und Graphik, Hrsg. Cecilie Hollberg, Städtisches Museum Braunschweig, 2015, S. 23.)

Auch die Bilder unserer Ausstellung zeigen immer wieder Menschen. Oft erscheinen sie fast in eins mit dem malerischen Bildgrund, als würden sie aus dem Unsichtbaren auftauchen und erst langsam Gestalt gewinnen, schemenhaft angedeutet, mehr Frage als Antwort.
Wer oder was ist der Mensch? Was haben die Menschen miteinander zu tun, wie kenntlich sind sie einander, wie deutlich? Einsamkeit und Kommunikation klingen an, Beziehung und Allein-Sein. Das Bild Zwei Figuren (1989) zeigt zwei Menschen nebeneinander sitzend wie Fremde, sich berührend aber nicht einander zugewandt. In der angedeuteten Gestik bleibt jede für sich. Und wenn doch vielleicht miteinander oder nebeneinander in Beziehung – wie stellt sich das dar? Es gibt Einsamkeit in Paarbeziehungen, Einsamkeit in der Menge – auch in der Menge Gleichgesinnter. Wer ist der Mensch heute? Was bestimmt und prägt ihn, womit hat er zu kämpfen? Fragen, die sich beim Anschauen der Bilder von Peter Voigt aufdrängen.

Peter Voigt, 1925 geboren, trägt in sich die zutiefst prägenden und verstörenden Erfahrungen seiner Generation: Die Erfahrung des Nationalsozialismus, der Shoa und des Krieges, den er als nicht einmal Zwanzigjähriger gegen Ende noch miterlebt.
Sein Zwillingsbruder kommt dabei ums Leben. Es dauert Wochen, bis die Familie vom Schicksal des Bruders erfährt.
Nach heutigen Begriffen müsste man sagen, dass nahezu alle, die aus dem Krieg nach Hause kamen, traumatisiert waren. Gesprochen wurde darüber kaum. So war es auch in meiner Familie. Posttraumatische Belastungsstörung – das Wort kannte man damals nicht. Damit blieben alle, die Betroffenen und ihre Familien, allein.
Es wäre mehr als verwunderlich, wenn die Verbrechen der Deutschen in der Nazi-Zeit, der Blick in die unfassbaren Abgründe des Menschen nicht auch im Werk dieses sensiblen Künstlers seinen Niederschlag gefunden hätte.

Gefangene sind mehrere Bilder aus dem Jahr 1968 überschrieben. Unschwer erkennt man die hölzernen Verschläge, in die die Menschen in den Konzentrationslagern gepfercht waren. Es ist die Perspektive der Opfer, die der Künstler einnimmt.
Zwillinge lautet der Titel eines Bildes aus dem Jahr 1972. Wir sehen ein Doppelportrait, gemalt wie ein realistisches Erinnerungsbild und es zeigt Peter Voigt und seinen Bruder: Zwei Gleiche im Matrosenanzug und doch zwei Verschiedene in ihren Charakteren – eher keck der Eine, und zurückhaltend der Andere.
Im Jahr 1962 malt Peter Voigt auch ein Bild mit dem Titel Zwillinge. Es zeigt zwei Köpfe mit kaum noch erkennbarer und im Verschwinden begriffener Physiognomie. Was einmal war ist nicht mehr. Ein Bild voller Trauer und Passion. Nicht nur das Antlitz des getöteten Bruders ist zerstört, sondern auch das Eigene. Ein Bild, das sprachlos macht als Zeugnis einer quälenden malerischen Erinnerungsarbeit. Warum er? Warum nicht ich? Warum überhaupt?

Über das persönliche Schicksal hinaus stellen diese Bilder Fragen nach dem Menschen.
Gerd Winner hatte recht, als er in seiner Laudatio auf Peter Voigt gesagt hat:
„Hartnäckig beschäftigen mich Peter Voigts Kopfbilder mit verlorener Physiognomie. Gefestigte Formen werden übermalt, andere Schädel sind nur im Umriss zu deuten oder werden eins mit dem Bildgrund und werden Teil der Auflösung, die nur noch Malerei sein will. Die Gesichtszüge verblassen, werden auch in der Auslassung erfahrbar, überlagert vom Gestus der heftig geführten Hand des Künstlers. Stumme Bilder gegen das Vergessen, in stiller Passion.“ (Ausstellungskatalog Peter Voigt, Malerei und Graphik, a.a.O., S. 13.)

Judenfriedhof in Prag (1990) lautet der Titel zweier großer Arbeiten. Ein Besuch auf dem Judenfriedhof in Prag hat den Künstler beschäftigt. Seit dem 15. Jhdt. haben Menschen auf diesem Friedhof ihre letzte Ruhestatt gefunden. Bedeutende Gestalten des europäischen Judentums sind hier begraben. Mittlerweile stehen dort 12.000 Grabsteine auf engstem Raum; nebeneinander und übereinander wurden die Menschen bestattet, weil es nicht möglich war, den Friedhof zu erweitern.
Keine Novemberstimmung atmen diese Bilder. Trotzig stehen diese Steine da, nicht in Reih und Glied, sondern jedes für sich wie ein Monument, das zu sagen scheint: „Und siehe wir leben“. Auf einem Friedhof – eine paradoxe Erfahrung.
Vielleicht hat es Peter Voigt gut getan, diesen Friedhof nach dem Grauen der Shoah, an das viele seiner Bilder erinnern, in seiner Lebendigkeit zu erleben: dieses ungeordnete Durcheinander zahlloser Grabmäler, von denen jedes eine Erinnerung bewahrt und gleichzeitig für Vergangenheit und lebendige Gegenwart in einem steht. Dies umso mehr, wenn man bedenkt, dass die SS hier ein zentrales „Museum einer untergegangenen Rasse“ geplant hatte.
Es sind nur Steine, die der Künstler ins Bild gebracht hat. Und es sind mehr als nur Steine.
Die Gegenstände sind vieldeutig in Peter Voigts Malerei; sie sind diesseitig und haben eine Geistigkeit, ohne uns diese in pathetischer Eindeutigkeit um die Ohren zu hauen.

In den achtziger Jahren hat er wiederholt das Motiv des Narrenschiffes aufgegriffen. Unsere Ausstellung zeigt eine Zeichnung. Wohin geht auf dem Bild die Reise der Maskierten? Ist es die übermütige Überfahrt zum Maskenball oder das Vanitas-Motiv und die Fahrt über den Styx?
Masken spielen mit dem Reiz des Verhüllens, hier aber wirken sie leblos, Totenmasken ähnlich. Ein Paar liegt im Schiff in intimer Berührung, ihr Kuss aber ist der Kuss zweier Masken. Der Narr schaut mit schelmischem Blick aus dem Bild – und klammert sich – besorgt – fest an den Mast. Als Betrachter spürt man die Ambivalenz und Zwiespältigkeit, die die Darstellung durchzieht. Sie wird zur ins Bild gebrachten Metapher für die hintergründige Angst und Zerrissenheit in der Moderne.

„Was mich immer interessiert ist der Mensch“ sagte Peter Voigt 1956 in einem Interview. Es ist die Frage nach dem Menschen, die sein Œuvre bestimmt.

Damit möchte ich schließen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen viel Freude beim Betrachten dieser Ausstellung, im Gedenken an Peter Voigt.

P. Hans-Albert Gunk OP, Peter Voigt – Ein Braunschweiger Maler, in: Peter Voigt Malerei und Grafik. Dominikanerkloster Braunschweig (Hg.), 2020, o. Sz.