Von schwieriger Kommunikation
Hinter einem Fenster sind die Umrisse eines Kopfes erkennbar, blau, schemenhaft. Im Vordergrund Menschen, die die Erscheinung nicht zur Kenntnis nehmen, selbst undeutliche Wesen, mit sich allein befasst. Ein Rest Blau hat Peter Voigt 1990 dieses Bild genannt. Blau als Symbol der Transzendenz, einer geistigen Welt, gibt dem Bild im nachhinein eine ahnungsvolle Deutung. Ausgegrenzt nannte der Maler eine zweite Fassung des Motivs. Zwei der letzten Bilder, einem Diptychon vergleichbar, zeigen in zarter, verblühender Farbe nichts als Grabsteine des Judenfriedhofs in Prag. Aus lebendigen Menschen sind steinerne Erinnerungen geworden. Die Bilder beschließen den Band Peter Voigt, der 1990 im Verlag Niemeyer erschienen ist.
Eine Ausstellung mit Werken des 1990 unerwartet früh verstorbenen Peter Voigt, zugleich eine Hommage an den großen Lehrer, zeigt gegenwärtig der Kunstverein Wolfenbüttel. Professor Peter Tuma, selbst ein Schüler Voigts, hat eine Auswahl des grafischen Werks getroffen, das von hoher künstlerischer Kompetenz zeugt. Seine Themen befassen sich mit dem Menschen. Wer seine Porträts Braunschweiger Persönlichkeiten kennt, weiß, mit welch wacher Sensibilität Peter Voigt durch das Außen auf das Innere des Menschen schaut und zum Wesen vordringt. Immer beinhalten diese Bildnisse etwas Flüchtiges, nicht Faßbares trotz aller Bestimmtheit der Beobachtung.
Die gleiche Ausdrucksweise ist den grafischen Arbeiten zu eigen. Dichtgedrängt füllen Menschen einen imaginären Raum, ohne einander Wahrzunehmen. Ihre Gesten zeugen von Lebendigkeit und Mitteilungsdrang, aber die Kommunikation erscheint schwierig.
Peter Voigt, 1925 in Braunschweig geboren, stammt aus einem geistig offen Elternhaus. Als junger Soldat erlebte er den Kriegstod des Zwillingsbruders als Schicksalstrauma, das in seiner Kunst ebenso seinen Ausdruck fand wie die prägenden Kriegserfahrungen. Der Bruder, das alter ego, taucht als Schatten auf, als Doppelung mit verwischter Physiognomie und der Farbe von Staub und Gebein. Der Mensch, ein Gefangener im Narrenschiff oder im Käfig der Bettgestelle einer Baracke, immer in der Mehrzahl und dennoch allein, eine Persönlichkeit auf der Suche nach dem Leben. Der Zirkus steht als Metapher für sein Zuhause, die Maske für die Suche nach Identität, der Rotor für das Rad des Lebens, das einer Zentrifuge gleicht. Man muss sich anklammern, um nicht den Halt zu verlieren und den Rausch der Bewegung mit Lust und Schauer zu erleben.
Peter Voigt findet für die existentielle Botschaft die überzeugende Handschrift. Selbst ein großer Beobachter und Zeichner, verbindet er Realität mit Imagination und setzt Mittel ein, die dem Menschen aus Erde und Kohlenstoff entsprechen. Bleistift, Graphit, Deckweiß, Buntstift oder Rötel und Kugelschreiber genügen, um daraus Körper, Haut und Seele zu formen. Alle Schöpfungen beinhalten zugleich ihren körperlichen Zerfall, die Flüchtigkeit ihres Daseins. Licht und Schatten bilden Räume und Körper, so deutlich, dass das Geschehen wirklich ist und so verfließend, dass es einer Ahnung gleicht. Die Schwierigkeit menschlicher Kommunikation wird mit dem Thema Geschichtlichkeit verknüpft. Ein ordnendes Raster gliedert Figuren und Handlung wie ein Album verblichener Fotos. Aufgeschlagene Seiten eines Buches lassen die Bilder vor- und zurückblättern, Erinnerung und Kommendes entwicklen sich innerhalb einer grafischen Idee. Das künstlerische Verfahren zeigt Entstehung, Festigkeit, Veränderung, Austilgen. Subtil in der weiß-grauen Farbskala, sicher in der Zeichensetzung und fragend in der Sinngebung. Nie verfällt Peter Voigt in eine starres Schema, das wiederholbar und vordergründig durchschaubar wäre. Seine Kunst tritt uns als vollendetes Lebenswerk entgegen.
Marianne Winter
Braunschweiger Zeitung, 27. Dezember 1994.